Butter bei den Fischen

von Vincent Koch

Als ich mich vor einem Jahr auf meine Oberschulprüfungen vorbereitet habe, war mir schnell klar, dass ich dafür die Examina der Vorjahre durcharbeiten will. Natürlich habe ich als erstes im Internet nach den Aufgaben Ausschau gehalten. Tatsächlich stieß ich auf eine Datenbank des Freistaats Sachsen, die mir die Prüfungsaufgaben der Vorjahre offerierte. Diese war allerdings passwortgeschützt. Und oben drauf: kein Hinweis, wie ich an die Zugangsdaten komme konnte. Mir steckte jemand zu, dass jede Schule die entsprechenden Daten besäße. Meine Schulleitung allerdings hatte keinen blassen Schimmer davon, ja, wir fragen nochmal beim Ministerium nach, hieß es. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich anderweitig darum zu kümmern. In der Buchhandlung meines Vertrauens kaufte ich mir mehrere Bücher eines bekannten Verlages, der die Prüfungsaufgaben der letzten sechs Jahre abdruckte – für circa 50 Euro. Ein teurer Spaß, den, wie ich finde, nicht mal die Schule gerechtfertigt. Es ist ein Armutszeugnis für unser Land, dass es im 21. Jahrhundert nicht möglich ist, die Schulprüfungen vom Vorjahr kostenfrei und in unkomplizierter Manier, vorzugsweise im Internet, zu veröffentlichen. 

Die Foundation Wikimedia Deutschland macht mit ihrer aktuellen Kampagne „Frag sie ABI!“ auf dieses Leck aufmerksam. Grundsätzlich setzt sich Wikimedia dafür ein, dass die Möglichkeiten der Wissens- und Informationsgesellschaft allen zugutekommen. Wikimedia-Projekte werden ausschließlich über Spenden und freiwillige Mitarbeit realisiert. Das bekannteste Wikimedia-Projekt ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia.

Der LandesSchülerRat Sachsen ist Partner der aktuellen Aktion. 

Abraham Taherivand, Geschäftsführender des Vorstandes von Wikimedia Deutschland sagt: „Dem Grundsatz „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut‟ entsprechend müssen die Abituraufgaben vergangener Jahre Schülerinnen und Schülern freigegeben werden. Sie unter Verschluss zu halten oder sogar nachträglich zu monetarisieren widerspricht dem Grundgedanken der Bildungsgerechtigkeit.“

Unser Vorsitzender Noah Wehn meint: „Jeder Schüler sollte direkten Zugriff auf die Prüfungsaufgaben der Vorjahre haben. Die Datenbank dazu gibt es schon, sie muss nur endlich öffentlich zugänglich gemacht werden. Stichwort Informationsfreiheitsgesetz.“

Noah betont: „Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in Sachsen bereits eine Datenbank haben, über welche Prüfungen abgerufen werden können. Das ist in anderen Ländern immer noch Zukunftsmusik. Dort wartet man mitunter neun Monate – auf Prüfungsaufgaben, die per Post versendet werden. Allerdings ist das Online-Portal auch in Sachsen bisher nur für Schulen zugänglich. Ehe die Zugangsdaten an die Schüler weitergegeben werden, ist der Tag der Prüfung schon ran.“ Darüber hinaus könne man überlegen, Musterlösungen zu erstellen. 

Das sächsische Staatsministerium für Kultus, die Behörde, die handeln könnte, hat sich bisher nicht zu der Kampagne geäußert. So haben wir uns mit einem Schreiben direkt an den Kultusminister gewendet. Wir hoffen – getreu unserem Motto „ernsthaft und konstruktiv“ – auf eine Antwort, die uns weiter bringt und die Unterstützung der Regierung zusagt. Nachfolgend veröffentlichen wir den kompletten Brief, der am 08.03.2019 an das Ministerium geschickt wurde.

„Frag Sie Abi!“ – Statement & Nachfrage LandesSchülerRat Sachsen


Sehr geehrter Herr Piwarz,
sicherlich haben Sie in den letzten Wochen die Kampagne „Frag Sie Abi!“ von Wikimedia Deutschland in den Medien verfolgen können, die sich derzeit für den kostenfreien und unkomplizierten Zugang zu Prüfungsaufgaben der Vorjahre einsetzt. 
Der LandesSchülerRat steht hinter diesem Projekt. In unserer Pressemitteilung vom 10. Februar haben wir uns wie folgt geäußert:


„Jeder Schüler sollte direkten Zugriff auf die Prüfungsaufgaben der Vorjahre haben. Die Datenbank dazu gibt es schon, sie muss nur endlich öffentlich zugänglich gemacht werden. Wir unterstützen die Kampagne von Wikimedia und appellieren an die Schüler, sich ebenfalls dafür einzusetzen.“


Wir wissen, dass es bereits eine (nichtöffentliche) Datenbank der Prüfungsaufgaben gibt. Wir haben dennoch von vielen Schülerinnen und Schülern gehört, dass die Organisation der Zugangsdaten einige Zeit in Anspruch nimmt und sie sich eine öffentliche Verfügbarkeit wünschen würden, sowohl der Aufgaben als auch der Musterlösungen bzw. der Erwartungsbilder. 
Wir setzen uns dafür ein, dass alle Prüfungen der Vorjahre online kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Wir sehen es nicht als notwendig an, diese mittels diverser Verschlüsselungssysteme zu schützen. In erster Linie sollen die Aufgaben den Schülern sofort zur Verfügung stehen, nicht den Schulen bzw. Lehrkräften. 
 
Uns ist bekannt, dass es an einigen Stellen urheberrechtliche Bedenken bezüglich der Veröffentlichung gibt. Allerdings ist die Rechtslage in Sachsen die gleiche wie in den anderen Ländern der Bundesrepublik auch. Der Blick in andere Bundesländer zeigt, dass die Veröffentlichungspraxis offener gestaltet werden kann. Daher fragen wir uns, warum der Freistaat hier nicht gleichzieht, wenn es sich mutmaßlich um eine politische und keine rechtliche Frage handelt. Daher wenden wir uns an Sie, in der Hoffnung, Sie könnten uns Ihren Standpunkt bzw. den Standpunkt Ihres Hauses erläutern.
 
Mit freundlichen Grüßen
Noah Wehn 
Vorsitzender