Sitzenbleiben ist sicherlich nicht die angenehmste Sache der Welt, aber kann auch eine Chance sein. Erfahrungen sind eine Grundlage aus denen man lernen kann. Dazu gehören positive, wie auch negative. Ich bin damals in der neunten Klasse sitzengeblieben, aufgrund von Mathematik. Um genauer zu sein, aufgrund einiger weniger Punkte. Ich stand auf 4,5 in Mathematik und ich schrieb meine letzte Klausur. Das Ergebnis war denkbar unglücklich eine 5+, ein paar Punkte hätten das Sitzenbleiben verhindert. Aber es wollte nicht. Bei den Lehrern meiner Schule hatte ich auch nicht immer den besten Ruf, vielleicht ein Grund dafür. Aber ich will die Fehler auch nicht bei anderen Suchen, sondern bei mir. Motivation und Lust auf Schule hatte ich in der Zeit nicht. Ich engagierte mich lieber ehrenamtlich, damals sehr stark bei den Pfadfindern, verbrachte meine Zeit lieber mit Freunden an der Elbe oder auf Konzerten.
Als ich merkte, dass die Noten schlecht sind und die Versetzung gefährdet ist, begann ich mir Gedanken über meine Zukunft zu machen. Ich dachte viel nach und spielte auch mit dem Gedanken vom Gymnasium auf eine Mittelschule zu wechseln. Ich glaube der Zeitraum um das Sitzenbleiben war der, wo ich am meisten nachgedacht habe, über mich und meine Zukunft. Grund dafür war das Sitzenbleiben.
Mit mir sind damals einige Freunde sitzengeblieben. Einige haben vorher die Reißleine gezogen und haben die Schule gewechselt. Sie alle haben sich Gedanken gemacht, wie es weiter gehen sollte. Diese Gedanken hätten sie nicht gemacht, wenn es das Sitzenbleiben nicht geben würde. Denn niemand der einen guten Durchschnitt auf dem Gymnasium macht sich Gedanken auf die Mittelschule zu wechseln, genauso wenig wie sich ein durchschnittlicher Mittelschüler Gedanken macht, auf das Gymnasium zu wechseln.
Das Sitzenbleiben hat auch etwas mit Fairness gegenüber Mitschülern zu tun. Aufgrund der fehlenden Motivation störten wir oft den Unterricht, lenkten Mitschüler ab. Was diese in ihrem Lernen behinderte. Erst als mir bewusst wurde, dass die Wiederholung droht, änderte ich mein Verhalten. Ich konzentrierte mich verstärkt auf die Schule. Ein schülertypisches Verhalten. Wenn man eine Hausaufgabe aufbekommt, welche in zwei Wochen fällig ist, dann löst die Mehrzahl der Schüler erst kurz vor Abgabe und die wenigsten bereits sofort nach Erhalt. Etwas (innerer) Druck ist nötig, um Leistung zu zeigen, denn es gibt so viele schöne Dinge, die man der Schule vorziehen könnte.
Viel Unterstützung von der Schule erhielt ich nicht. Ein paar Gespräche mit der Fach- und Klassenlehrerin, dass war alles. Hier gibt es Verbesserungsbedarf.
Entscheidend für den Lernerfolg ist die Motivation und der Wille zum Lernen, sonst ändert sich wenig. Ich habe das Sitzenbleiben als zweite Chance und als ein Neuanfang erlebt. Es hat mich neu motiviert. Ich glaube der erste Tag in der neuen Klasse war der, an dem ich am meisten motiviert war.
Probleme hatte ich keine im Umgang mit der neuen Situation. Kannte ich doch viele Mitschüler bereits. Teilweise waren wir auch schon vorher befreundet. Es war auch nie ein Thema, dass ich Sitzengeblieben bin. Es hat kaum eine Rolle gespielt und wir haben es alle mit Humor genommen. Ich drehe halt eine Ehrenrunde, weil ich die Schule so sehr mag (Ironie).
Meine Leistungen wurden besser in der neunten Klasse. Ich verstand besonders in Mathematik viel mehr. Anders als man denkt, langweilte ich mich auch nicht in den anderen Fächer. Kurioserweise verbesserte ich mich in einigen Fächer im zweiten Durchgang, in anderen wurde ich auch schlechter. Denn die Lehrer hatten sich auch geändert. Hier wird deutlich welche große Rolle der Lehrer spielt. Natürlich hatte ich auch Vorteile. Kunstarbeiten wurden nicht neugemacht, sondern aus dem Vorjahr abgegeben. Die Benotung viel natürlich auch unterschiedlich aus. Kunst ist halt sehr subjektiv.
Viele Studien sagen ja, dass sich die Leistung langfristig nicht verbessert, wenn man sitzenbleibt. In der zehnte Klasse hatte ich dann auch erneut Probleme, da sich meine Grundhaltung zur Schule wieder änderte. Einerseits begann ich mich wieder verstärkt zu engagieren, andererseits spielten auch meine Kopfnoten eine große Rolle. Ich hatte bei meinen Lehrern aufgrund meines früheren Verhaltens einen bestimmten Ruf erlangt. Ich war auch nie derjenige, der zu den meisten Lehrern einen guten Draht oder regelmäßigen Kontakt hatte. Die Kommunikation beschränkte sich auf das Wesentliche. Ich lernte viel, war sowohl aus schulischer Sicht fleißig, als auch neben der Schule. Initiierte sogar ein Lernkreis mit Mitschülern. Dennoch bekam ich in Fleiß nur eine 4. Die subjektive Note, welche sich nur auf die Schule beschränkt, führte dazu, dass ich demotiviert wurde und wieder begann weniger zu lernen. Ein Teufelskreis. Schlussendlich schaffte ich die zehnte Klasse und wechselte die Schule um die Fachoberschule zu absolvieren. Wieder ein Neuanfang, welcher mir gut tat. Mein Problem war nicht das Sitzenbleiben, welches ich für richtig und legitim halte, sondern die fehlende Motivation zum Lernen und die voreingenommen Haltung der Lehrer gegenüber meiner Person.
Rückwirkend war das Sitzenbleiben für meine Entwicklung das Beste, was mir passieren konnte. Denn ich habe mir Gedanken über meine Zukunft gemacht und habe mich geändert. Aus heutiger Sicht hätte ich die Schule eher wechseln sollen, aber um überhaupt den Gedanken zu haben, sich mit anderen Schularten und Formen auseinander zu setzen, braucht es das Sitzenbleiben, sonst ist man zu bequem und lässt es. – Wäre ich nicht in der neunten Klasse durchgefallen, dann hätte es mich wohl im Abitur bei einer Prüfung erwischt, so hatte ich die Chance zu wechseln. Das Sitzenbleiben ist nichts Negatives und ich bin auch etwas Stolz darauf. Macht ja auch nicht jeder. Geradlinige Lebensläufe sind langweilig.
Konrad Degen, Vorsitzender des LandesSchülerRates Sachsens
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