Interview zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)

Hier findet ihr das vollständige Interview mit Dr. Antje Thiersch, Referatsleiterin des Referats »Politische Bildung Migration und BNE« im Sächsischen Staatsministerium für Kultus. Das Interview ist im Schulrundschreiben 02/2021 erschienen (Seiten 10/11) und kann über folgenden Link kostenlos bestellt werden: https://hrsg.lsr-sachsen.de/produkt/schulrundschreiben-02-21/. Dort gibt es auch das PDF zum Download.

BNE – Es steht seit längerer Zeit im Lehrplan, es gibt BNE-Schulen und eine BNE-Landesstrategie: Aber was genau heißt eigentlich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“?

Was genau ist „Bildung für nachhaltige Entwicklung“?

Bildung für nachhaltige Entwicklung – BNE – bedeutet, sich die Fähigkeit zum aktiven Gestalten der Gegenwart und Zukunft unseres Planeten anzueignen, genauso wie die Lust zur Übernahme von Verantwortung.  Dabei ist BNE für Schulen in Sachsen dasselbe wie für alle anderen auf der Welt, sei es in New York, in Hanoi, Nairobi, Rio oder Sydney, nämlich zukunftsfähiges Denken und Handeln bei euch Schülerinnen und Schülern zu erzeugen und eine Haltung hervorzurufen. Eine Haltung, die dazu führt, die Welt von heute so zu verstehen und zu hinterlassen, dass auch die Welt von morgen lebenswert bleibt.

Dr. Antje Thiersch – Referatsleiterin im Kultusministerium

„Bildung für nachhaltige Entwicklung ist eine Haltung, die dazu führt, die Welt von heute so zu hinterlassen, dass auch die Welt von morgen lebenswert bleibt“

Dr. Antje Thiersch

BNE soll sich quer durch Schule und Unterricht ziehen. Deshalb ist BNE auch kein eigenes Fach, sondern eine Querschnittsaufgabe. Ganz wichtig war uns, BNE im Schulgesetz zu verankern, gleich im ersten Paragraphen zum Auftrag von Schule, und in den Lehrplänen aller Schularten, Klassenstufen und Fächer. Wer nach einer Definition sucht, dem empfehle ich diese aus dem Eckwertepapier Bildung für nachhaltige Entwicklung1 , das für die Überarbeitung der Lehrpläne richtungsweisend war: „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich, ausgehend von den eigenen Lebensweltbezügen, mit den lokalen, regionalen und globalen Entwicklungen auseinander. Sie lernen, Auswirkungen von Entscheidungen auf das Leben der Menschen, auf die Umwelt und die Wirtschaft abzuschätzen. Sie setzen sich bewusst für eine ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Entwicklung ein und wirken gestaltend daran mit. Dabei kennen und nutzen sie Partizipationsmöglichkeiten.“

Vielleicht haben einige von euch die Nachricht des Astronauten Alexander Gerst2 an seine ungeborenen Enkel vom All auf die Erde gesehen. Schaut mal rein! Das Video zeigt tolle Aufnahmen und enthält alles an Botschaften, was BNE ausmacht.

Welche Ziele setzt die Landesstrategie BNE?

Mit der Sächsischen Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)3 hat sich Sachsen 2019 einen Kompass gegeben, der auf BNE im lebenslangen Lernprozess ausgerichtet ist – von Kita und Schule über Ausbildung und Beruf bis zu Volkshochschule oder Verein. Dafür wurden bis 2030 über 30 Teilziele formuliert. Die meisten lesen sich sehr abstrakt. Ich will versuchen, drei für den Bereich Schule zu erklären:

Auch an Schulen muss der Klimawandel eine Rolle spielen. Es geht darum, die Artenvielfalt zu erhalten, mit Ressourcen bewusst umzugehen und die Umwelt zu schonen. Wie sieht der Schulhof aus, welche Pflanzen wachsen dort, wieviel Müll entsteht, wie ist unser Wasserverbrauch, was können wir im Kleinen tun, um im Großen zu helfen? Sich dafür als Schule ein Programm zu geben, zum Beispiel als Klimaschule4 , ist Ziel der Landesstrategie.

Aber BNE ist noch viel mehr. Es geht auch, und das ist mein zweites Beispiel, um soziale Fragen, um das Miteinander zwischen Schülerinnen und Schülern und letztlich in der Gesellschaft. Wir nennen das Ziel „partizipative Schulkultur“, also eine Stimmung an der Schule, die alle einbezieht, niemanden ausschließt und die zum Mitmachen anregt. Wir unterscheiden uns alle voneinander, aber das bedeutet nicht, dass Unterschiede uns trennen müssen, einzelne Meinungen keine Bedeutung haben oder Vorschläge von vornherein abgelehnt werden. Eine nachhaltige, lebenswerte Welt bedeutet auch Fairness unter uns Menschen und die Chance sich zu beteiligen und zu entfalten.

Albert Einstein: „Die Kampagne zu Bildung für nachhaltige Entwicklung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zeigt mit Hilfe bekannter Persönlichkeiten, was hinter den 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen steht.“5

Neben den eben genannten ökologischen und sozialen Fragen hat BNE nicht zuletzt eine ökonomische Dimension. Wenn ich mir z.B. beim Kauf eines T-Shirts Gedanken mache über die Arbeitsbedingungen im Herstellerland, über die Transportwege zum Verbraucher, über die Notwendigkeit der Anschaffung, aber auch über den Nutzen und die Freude am Tragen, habe ich mein Konsumverhalten überprüft und BNE angewandt. Ebenso sollen Schulen als Ganzes Entscheidungen zum Beispiel zu ihren technischen Ausstattungen, zum Papierverbrauch, zum Essensanbieter oder zu Schulwegen treffen und sich im besten Falle zu „nachhaltigen Lernorten“ entwickeln. Auch das ist Ziel der Landesstrategie.

Wie können Schülerräte von BNE profitieren?

Profitieren ist vielleicht das falsche Wort, denn profitieren sollen letztlich alle. Ich hoffe, dass Schülerräte BNE aufgreifen und nutzen. Alle wichtigen Themen von BNE sind euch Schülerinnen und Schülern längst bekannt. Ihr wisst genau, was los ist in der Welt, was gut läuft und was schlecht. Schülerräte als gewählte Schülervertreterinnen und Schülervertreter können am besten aktiv einfordern, was schwarz auf weiß in Strategien, Gesetzen und Lehrplänen zur BNE geschrieben steht. Macht etwas draus, gestaltet eure Schule, euer direktes Umfeld mit. Platziert, was euch bewegt, seid Vorbilder und sucht Verbündete. Nehmt Kontakt zu Kommune, Vereinen und Initiativen auf, die euch bei der Gestaltung des Schulgeländes oder beim Aufbau von Schulpartnerschaften unterstützen. Setzt Diskussionen in Gang, was die Pandemie mit uns macht, welche Projekttage Sinn ergeben und wohin Klassenfahrten gehen sollten, warum ihr eine Schülerfirma gründen wollt oder lieber mit dem Imker von nebenan einen Bienenstock aufstellt, ob es wichtiger wäre, ein Wasserprojekt am Äquator zu unterstützen oder das Pflegeheim in eurer Gemeinde. Je intensiver ihr lernt und erlebt, an euren Schulen oder vor Ort etwas zu bewirken, umso kompetenter gelingt es, sich darüber hinaus den drängenden Fragen unserer Zeit stellen.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsprojekt bei der Umsetzung von BNE in Sachsen?

BNE ist für mich weniger ein Projekt als ein Auftrag – der Auftrag zur Veränderung. Dass wir die BNE im Schulgesetz und in den Lehrplänen beschrieben haben, ermöglicht deren Umsetzung nicht nur, sondern macht sie verbindlich. Jetzt geht es darum, BNE mit Leben zu füllen und Schritt für Schritt Veränderungen herbeizuführen. Ich weiß, dass da schon ganz viel und vor allem Spannendes passiert, oft in Kooperationen mit Experten außerhalb oder Partnern, die in die Schulen kommen. Der in der Frage formulierte Projektcharakter hat für mich aber den Klang von „ausnahmsweise“, „zusätzlich“, „falls wir Zeit dafür haben“ oder „jemanden, der das in die Hand nimmt“. Wenn es immer so schön heißt: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen“, dann gehört BNE in Unterricht und Schulalltag, und zwar wie selbstverständlich. Daher möchte ich gern die Frage zurückgeben und wissen: Was passiert an deiner Schule in Sachen BNE? Wenn die Antwort „Weiß nicht.“ oder „Noch nicht so viel.“ lautet, sollte sich das morgen ändern!

Vielen Dank für das Gespräch!


1) http://lpdb.schule-sachsen.de/lpdb/web/downloads/2302_Eckwerte_BNE_2019.pdf?v2

2) https://www.youtube.com/watch?v=4UfpkRFPIJk

3) https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/32399

4) https://www.klima.sachsen.de/klimaschulen-in-sachsen-12616.html

5) https://bne-sachsen.de/sdg/