Unzählige fremde Gesichter und Sprachfetzen umschwirren mich. Manchmal fließen sie ineinander, übereinander und münden in eine große Wolke der Überforderung und des Staunens.
Sieben Delegationen aus fünf Nationen sind in der Woche vom 5. bis 11. November 2012 zum internationalen, europäischen Jugendforum zusammengekommen: Belgien, Deutschland, Frankreich, Polen und Rumänien. Auf Grund dessen, dass die Stadt Chemnitz durch Partnerschaften sowohl mit dem Tagungsort Mulhouse in Frankreich, als auch mit den anderen Herkunftsstädten der Delegationen durch eine Vielzahl von Partnerschaften verknüpft ist, wurde 5 Schülern und Schülerinnen der Stadt Chemnitz ermöglicht, sich am Morgen des 5. Novembers noch etwas verschlafen auf den Weg nach Frankreich zu machen.
Gemeinsam mit den ersten Anzeichen der Dämmerung erreichen wir unsere Unterkunft, wo wir mit einem schüchternen „allô“ begrüßt werden. Was folgt ist das Übliche: Gepäck schnappen, Zimmer beziehen, Abendessen und erste vorsichtige Kontakte mit den Menschen der anderen Delegationen knüpfen. Die folgenden Tage verliefen weitaus weniger ereignislos. Zur Anregung des gegenseitigen, interkulturellen Austauschs verbrachten wir den Vormittag des Folgetages mit methodischen Seminaren. Zunächst beschäftigten wir uns mit methodischen Ansätzen und Modellen interkultureller Kommunikation sowie mit den Begriffen Respekt und Toleranz. Schließlich wurden wir zufällig in drei Gruppen à 20 Mann unterteilt und gebeten, eine eigenständige Kultur zu kreieren, zu diskutieren und zu entwickeln. Besonderes Augenmerk sollte auf den Aspekten der Kommunikation, des Verhältnisses von gesellschaftlichen Mehrheiten und Minderheiten zueinander, des Geschlechterverhältnisses, der Politik und der Regelfindung … liegen. Nach einer halbstündigen Vorbereitungsphase wurde die soeben konstruierte Gesellschaft in die Tat umgesetzt und mit der Aufgabe konfrontiert, sich gegenseitig und unter völliger Unkenntnis der Gegebenheiten der anderen Kulturen auszutauschen. Das war ein Heidenspaß (und grundlegend wohl das anfängliche Durchbrechen von Kommunikations- und Schüchternheitsbarrieren)!
Die Grundlagen für die eigentlich Arbeit waren gelegt.
Was bedeutet Europa für uns? Welches Potenzial steckt in der Jugend Europas,wie kann man es nutzen? Welche Kritikpunkte müssen dringend angepackt werden? Welche Projektideen gibt es, wie sind sie europaweit umsetzbar und wie? Mit einer Vielzahl dieser und ähnlicher Fragen haben wir uns in den kommenden Tagen beschäftigt. In drei Referaten zu den Themen „Erneuerbare Energien“, „Sport – Ein Trumpf für die Jugend“ und „Jugendpolitisches Engagement für die Gesellschaft“.
Ich war auf Grund meiner Tätigkeit im LandesSchülerRat Sachsen Teil des Referates, welches sich mit jugendpolitischem Engagement auseinandersetzte. Nachdem wir ausführlich die Struktur und Organisation der youth- and studentcouncils der teilnehmenden Städte analysiert hatten (und schockierenderweise feststellen mussten, dass in einigen europäischen Ländern eine ähnliche Insitution oder ein vergleichbares Gremium nicht einmalerwünscht schien), begannen wir an den Vorschlägen und Anträgen zu arbeiten, welche am Ende der Woche vor gewählten regionalen, nationalen und internationalen Vertretern präsentieren sollten. Letztendlich hat jedes Referat vier Projektideen, Verbesserungsvorschläge und Gedankenimpulse aller Thematiken eingereicht, von welchen nach langwieriger Diskussion jeweils zwei ausgewählt wurden. Eine jener Vorschläge war das Erstellen einer europaweiten und trotzdem städtespezifischen Informationsplattform, welche regelmäßig von den Vertretern verschiedener Ebenen und Tätigkeitsfeldern mit Projekten und deren Ausschreibungen gespeist werden sollte. Dieses Netzwerk soll europaweit (natürlich vorerst in den teilnehmenden Partnerstädten) eingerichtet werden und die Transparenz, den Informationsfluss sowie die Motivation einzelner Jugendliche für soziales, politisches und kulturelles Engagement bestärken.
Anbei seien die Übersetzerinnen der abschließenden Konferenz dankend erwähnt. Die professionelle und immerhin dreisprachige Übersetzung per Headset vereinfachte den Kommunikationsfluss merklich und verhinderte auch das ein- oder andere Missverständnis. Rückblickend kann ich diese 6 Tage guten Gewissens als äußerst produktiv, bereichernd aber nicht minder anstrengend beschreiben.
Mit mindestens 6 Gedankenanstößen in der Tasche und einem subtilen Gefühl von Müdigkeit und Motivation brachen alle 60 Teilnehmer in unterschiedliche Himmelsrichtungen auf. Den größten Berg der Arbeit und Auseinandersetzung haben wir aber vermutlich noch vor uns.
Anja Klotzbücher, Beraterin des LandesSchülerRates Sachsens
Die Texte geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder und nicht die des LandesSchülerRates Sachsens.