Offener Brief des Landesschülerrates Sachsen zum Artikel der Schüler Union Deutschland vom 11.05.2012

Mit diesem offnen Brief reagiert der Landesschülerrat Sachsen auf diese Pressemeldung der Schüler Union Deutschlands.

Sehr geehrter Herr Kiesewetter,

stellvertretend für die gesamte Schüler Union Deutschland haben Sie in oben genannten Artikel ein Ende der Proteste gegen die aktuelle Bildungspolitik in Sachsen gefordert und diese als „Krawall“ diffamiert. Im folgenden Text wollen wir auf Ihre Vorwürfe genauer eingehen.

„Die Schüler Union Deutschlands (SU) kritisiert die geplanten Demonstrationen von Schülern und Studenten in Dresden in den nächsten Tagen. „Die geplanten Kundgebungen entbehren jeglicher inhaltlicher Grundlage und sorgen für unnötige Konfrontationen“, so der Bundesvorsitzende Lutz Kiesewetter. Für die nächsten Tage wurden Demonstrationen mit bis zu 7000 Schülern gegen die Bildungspolitik von CDU und FDP angekündigt.“

Die Proteste der Sächsischen Schülerinnen und Schüler entbehren nicht jeglicher Grundlage. Vor wenigen Wochen stellte der damalige Kultusminister, Prof. Dr. Wöller, in seiner CDU Landtagsfraktion ein Analysepapier vor, er kam zu folgendem Fazit:

1. Die Lehrerschaft ist überaltert.

2. 26.000 von 30.000 Lehrern gehen bis 2030 in den Ruhestand.

3. Die Schülerzahl steigt um 15.000 bis 2020.

4. Die Lehrerstellenzahl soll um 2000 bis 2020 sinken.

5. Die Abiturientenzahl ist von 16.000 auf 12.000 jährlich gesunken. Damit reduziert sich auch das Potenzial für künftige Lehramtsstudenten.

6. Lehramtsstudenten zu bekommen und zu halten, wird wegen der Demografie und des Fachkräftemangels, der alle ostdeutschen Länder trifft, schwieriger.

7. Sachsen hat unattraktive Arbeitsbedingungen (keine Verbeamtung, niedrigere Eingruppierung, höheres Stundendeputat)

8. Fehlende demographische Vorsorge und Stellenabbau führen unweigerlich zu Unterrichtsausfall und Abbau der Bildungsqualität.

9.Sachsen wird seine Spitzenposition bei der Bildung verlieren.

Das vollständige Analysepapier des SMK finden Sie auf unserer Webseite unter www.lsr-sachsen.de.

Wie bereits oben geschrieben handelt es sich nicht um Thesen von Oppositionspolitikern oder Lehrergewerkschaften, sondern um eine interne Analyse des Kultusministeriums. Diese Zahlen werden auch von den Regierungskoalitionen als Arbeitsgrundlage akzeptiert und nicht mehr schöngefärbt. Für eine unnötige Konfrontation sorgt diese Demonstration nicht, da flankierend dazu viele Gespräche im Vorfeld mit Landtagsabgeordneten geführt werden. Alle wissen, was unsere Forderungen sind und sie wissen auch, dass es nötig ist, die Forderungen auf die Straße zu bringen, um öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Themen zu gewinnen und den politischen Entscheidern zu zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler in Sachsen hinter den Forderungen stehen. Dies gilt sowohl für die bildungspolitischen Sprecher der demokratischen Opposition als auch den regierungstragenden Parteien, wozu in Sachsen auch die CDU gehört.

„Sachsen steht seit Jahren in der Bildungspolitik gut da. An dieser Stelle aus rein populistischen Gründen die Regierung zu kritisieren, zeugt von Engstirnigkeit“, so Kiesewetter. Die Regierung hatte in der vergangenen Zeit angekündigt, im nächsten Schuljahr 655 neue Lehrer anstellen zu wollen.“

Im ersten Satz müssen wir Ihnen Recht geben. Sachsen steht seit Jahren gut da! Dies wird von uns anerkannt und in jedem Statement auch klargestellt. Der LandesSchülerRat Sachsen fordert kein anderes System, sondern das jetzige soll abgesichert und zukunftssicher gestaltete werden. Dafür demonstrierten wir! Wir sehen die Erfolge in der Vergangenheit durch den jetzigen Kurs massiv gefährdet. Das neben dem Problem Lehrermangel auch die wichtigen Themen wie Inklusion, Sanierungsstau usw. vorangebracht werden müssen, ist allen Beteiligten klar (vgl. Gruppenantrag im SLT zu Inklusion, Aussage CDU Abgeordneter Schreiber zum Sanierungsstau (11.05.)). Zum Thema Populismus dürfen Sie sich oben genannte Punkte gerne noch einmal durchlesen. 655 neue Lehrer? Bitte informieren Sie sich auch darüber, wie viele Lehrer in den Ruhestand gehen. Weitere Stellen sollen übrigens durch Kürzungen in der Verwaltung und den Ganztagsangeboten hinzu kommen. Unsere Stellungnahme dazu können Sie unter: https://lsr-sachsen.de/2012/04/bildungspackchen-oder-bildungspaket/ nachlesen.

„Es ist nicht nachvollziehbar, wieso Proteste trotz neuen Ausgaben für Bildung angekündigt werden. Dieses Verhalten entbehrt jeglicher Grundlage und dient allein dem Krawall“, so Kiesewetter. Stattdessen fordert die Schüler Union die Protestler dazu auf, wieder auf sachlicher Ebene zu diskutieren, um im Interesse der Schüler zu handeln.“

Zum Thema Krawall und der Nachvollziehbarkeit der Proteste finden Sie obenstehend genug Anhaltspunkte. Die sachliche Ebene wird in unserem Vorstand immer bevorzugt. Ein paar Beispiele dafür:

– bereits zum ersten Aktionstag (28.03., 20.000 Schüler) fordert der Landesschülerrat alle Parteien auf, sämtliche Parteiutensilien daheim zu lassen, damit die Proteste als Proteste der Betroffenen Schüler wahrgenommen werden.

– bevor am 28.03. das erste Mal Schülerinnen und Schüler in Sachsen demonstrierten, wurden zwei Monate lang intensiv Gespräche mit dem Kultusministerium und den Landtagsabgeordneten geführt

– zur Vorbereitung der Demonstration am 10. Mai setze sich der Landesschülerrat bei den Studierenden mit der Forderung durch, dass keine Parteien, keine Jugendorganisationen und keine Hochschulgruppen an der Organisation beteiligt werden dürfen.

– bevor Pressemitteilungen zu Demonstration etc. verschickt werden, gab und gibt es immer ein Gespräch mit allen bildungspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen

– der Vorschlag einen Runden Tisch zum Thema Lehrermangel zu initieren kommt gemeinsam vom bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Herrn Thomas Colditz, MdL und dem Landesschülerrat Sachsen.

Die Kultusministerin Brunhild Kurth hat den Runden Tisch zugesichert, ein weiterer Schritt zu einer, wie von Ihnen auch gewünschten, sachlicher Diskussion über die Probleme im Sächsischen Bildungssystem.

„Aus unserer Sicht wäre es zielführender für die Bildung der Schüler, wenn sie, anstatt einen Tag im Streik zu verbringen, in die Schule gingen“, so Kiesewetter abschließend.“

Zu diesem Satz (der im übrigens purer Populismus ist) kann ich Sie außerordentlich beruhigen. Die meisten Schülerinnen und Schüler haben mit Ihren Lehrkräften Zusatzstunden vereinbart, damit kein Lehrstoff verpasst wird. Zudem kann ich Sie noch einmal beruhigen, der Unterricht ist für maximal ein bis zwei Stunden ausgefallen, da die Demonstration extra in den Nachmittag verlegt wurde, damit eben kein großer Unterrichtsausfall stattfindet.

Sehr geehrter Herr Kiesewetter,

ich hoffe, dass Sie Ihren nächste Stellungnahme zur Lage in Sachsen mit erheblich mehr Sorgfalt recherchieren und vorher sich z.B. beim LandesSchülerRat Sachsen Informationen aus erster Hand holen, damit Sie nicht noch einmal einen solch fehlerhaften Artikel veröffentlichen müssen. Wenn Sie in Dresden anwesend gewesen wären, hätten Sie auch gesehen, dass der Schulzug wieder ohne Parteifahnen auskam. Wir vertreten alle Schülerinnen und Schüler Sachsen und das nehmen wir auch ernst. Wir sind überparteilich und wenn Sie sich unsere Landesdelegierten anschauen, dann werden Sie merken, dass diese aus allen politischen Lagern kommen, aber an erster Stelle steht bei Ihnen allen, die Vertretung von Schülerinteressen.

Um ihrer Forderung nach konstruktiven Gesprächen nachzukommen, lade ich Sie als Vorsitzender des LandesSchülerRates Sachsen sehr herzlich zu unserer nächsten Landesvorstandssitzung am 03.06., 11 Uhr, in die Geschäftsstelle nach Dresden ein. Wir hoffen sehr, dass Sie dieser Einladung folgen, damit wir bestehende Vorurteile abbauen können. Sollte dieser Termin nicht möglich sein, bitte ich Sie mir Terminvorschläge zukommen zulassen, damit wir die von Ihnen gewünschten konstruktiven Gespräch führen können.

Ich möchte Sie informieren, dass ihre Stellungnahme bei vielen sächsischen Schülerinnen und Schülern für Entsetzen gesorgt hat. Darum sehen wir es als unsere Pflicht an dieses Schreiben als einen Offenen Brief zu handhaben und es gemeinsam mit ihrem Antwortschreiben zu veröffentlichen. Ich denke dies ist auch in Ihrem Interesse.

Mit freundlichen Grüßen

Konrad Degen

Vorsitzender Landesschülerrat Sachsen