Rede zum 4. Kinderrechte-Empfang des Bündnis 90/Die Grünen

Von Johanna Luther

„Es ist noch dunkel. Die Klingel läutet und hunderte, mit Ranzen bepackte Schülerinnen und Schüler stürmen das Haus. Mehr oder weniger freiwillig, schwärmen alle in ihre Zimmer. Hat eigentlich irgendjemand die Englisch-Hausaufgabe gemacht? Im Lehrerzimmer wird noch schnell der letzte Kaffee hinter gekippt und los geht’s. Schule eben, wie jeden Tag.
Ein unmotivierter Haufen sitzt da, während sich der Lehrer vorn im Aufbau des Landtags verliert. „Was heißtn das Wort dort oben links in der Ecke?“ – „Demokratie“. „Mhh achso ja, danke.“ Weiterschlafen.
Das sind also die jungen Leute von heute – genießen eine erstklassische Bildung, haben so viel Freiheit wie nie und dann so was? Keiner interessiert sich für irgendwas, es gibt drei Leute in der Klasse, die wissen, dass es beim Doppelhaushalt nicht ums Putzen geht, Partizipation geht anders.

Und dann – der Lautsprecher knackt und es tönt, dass alle auf den Hof kommen sollen. Im Gang warten Schüler, die sich als, an Rollatoren klammernde Lehrer verkleidet haben und jagen mit lauter Stimme alle nach draußen, man hört im Alter ja nicht mehr so gut.
Es ist der 04.01.2012 und was folgt, ist der Auftakt einer Welle an jugendlichem Engagement und Wille zur Gestaltung und Einmischung in die Bildungspolitik, die ganz Sachsen überrollt. An diesem Tag finden überall an Chemnitzer Schulen Schülervollversammlungen statt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es Schüler gibt, die seit einem halben Jahr keinen Ethikunterricht mehr hatten, dass Klassen zusammengelegt wurden, damit überhaupt noch unterrichtet werden kann und dass man den Klassenleiter nur alle drei Tage mal antrifft, weil er den Rest der Zeit an eine andere Schule abgeordnet wurde. Und das verdammt nochmal keiner fragt, was wir eigentlich davon halten.
Aber nur weil uns keiner fragt, heißt das noch lange nicht, dass wir nichts zu sagen haben. Und deshalb koordiniert und organisiert der Landesschülerrat Sachsen in den folgenden Monaten immer wieder Aktionen und Proteste, um darauf aufmerksam zu machen, dass junge Menschen sehr wohl eine Stimme haben und dass sie mitreden wollen, bei den Dingen, die sie betreffen und dass es ihnen nicht reicht, wenn über ihren Kopf hinweg entschieden wird, nur weil man angeblich noch zu jung oder nicht reif genug ist für die gesellschaftliche Partizipation.

Und jetzt? Sitzen Vertreter des Landeschülerrats mit der Politik am Runden Tisch und diskutieren über den Unterrichtsausfall und äußern sich zu den Ereignissen der Bildungspolitik. Ganz schön viel erreicht für einen Haufen gähnender Null – Bock – Teenies, die man zwar in ihrer Jugend beschützen muss, denen man die Entscheidungen aber doch lieber abnimmt, oder?

Der Landessschülerrat bewertet den Doppelhaushalt für das Jahr 2013/2014 grundsätzlich positiv. Die Prioritätensetzung wird deutlich, gerade dass mehr Lehrer eingestellt werden, ist unabdinglich. Auch dass die Zahl der Lehramtsstudenten deutlich erhöht wird, werten wir als Fortschritt, ist doch damit die Gefahr sich ganze Stoffgebiete Zuhause selbst erarbeiten zu müssen, weil kein Lehrer da ist, langfristig eingeschränkt worden. Und auch die Zuschüsse an die Kommunen zur Sicherung der Lehrmittelfreiheit und der Schulsanierung sind zu begrüßen.
Alles verschiedene Maßnahmen, die versuchen das sinkende Schiff Bildung noch zu retten. Erschwert durch eine zunehmend schwierige finanzielle Situation, ist das gewiss kein leichtes Unterfangen.
Nichts destotrotz hätten wir uns noch mehr Mut bei den Investitionen gewünscht. Der Bedarf im Schulbereich ist einfach noch höher – gerade bei der Lehrerausbildung hätten wir noch deutlich mehr Lehramtsplätze erwartet und konkrete Anreize für die Studenten, wie Vorverträge oder ähnliches gern gesehen, um die Lehramtsausbildung und vor allem das Lehrer – Sein in Sachsen noch attraktiver zu machen.
Allein mit einem hübschen Flyer wird man wohl niemanden zum Studieren bewegen können, schon gar nicht die richtige Fächerkombination.

Gleiches gilt auch für die Oberschule – wir finden es gut, dass die Mittelschule verbessert werden soll und dass eine Weiterentwicklung geplant ist. Problem ist nur, dass sie sich kaum bemerkbar machen wird, gerade in den Großstädten sind die Klassen voll, man kann die Schule nicht einfach wechseln. Durchlässigkeit, freier Wechsel nach jeder Klassenstufe, Schaffung von Leistungsgruppen sind richtig und gut, müssen aber auch in der Praxis umsetzbar sein. Theorie ist nicht gleich die Realität.
Auch dass die Schulhaussanierung erst auf nach 2014 datiert ist, scheint mehr als bedenklich. Gerade in Dresden und Leipzig darf es nicht weiter zu einer Verschiebung des Sanierungsstaus in die Zukunft kommen. Hier sind die Kommunen in erster Linie in der Pflicht. Es ist ihre Aufgabe für sanierte, ordentliche Schulgebäude zu sorgen, in denen sich die Schüler auch wohlfühlen. Die Probleme wurden, wie auch im Land in der Vergangenheit verschlafen, falsche Prioritäten wurden gesetzt. Dennoch muss das Problem jetzt gemeinsam gelöst werden und das Land sollte die Kommunen dabei unterstützen. Die Vermittlung erstklassischer Bildung in drittklassigen Gebäuden muss endlich ein Ende haben.

Fazit: die Priorität der Bildung im Doppelhaushalt wird ersichtlich, das Problem wurde erkannt. Der Bedarf und die Herausforderungen, vor denen wir zukünftig stehen, sind allerdings größer als der finanzielle Spielraum im Moment zulässt. Hier muss nachgebessert werden, denn nicht nur Schüler müssen ihre Hausaufgaben machen.
Wir jungen Menschen haben also doch sogar eine ganze Menge zu sagen und allein diese wenigen Gedanken zeigen schon das enorme Potential an Bereicherung, welches die Gesellschaft durch ihre Kinder und Jugendlichen erfahren könnte, wenn man sie nur mal öfter fragen würde.

Gerade die Schülervertretungsstrukturen beleben die Demokratie und vor allem das Demokratieverständnis von jungen Menschen ungemein. Was denken Sie denn, warum die Leute im Gemeinschaftskundeunterricht einschlafen? Nicht weil es sie nicht interessiert, sondern weil sie einfach keinen Bezug dazu finden. Ist doch der Aufbau des Landtags auch nur die 500tste Kopie diese Woche und nachdem man es auswendig gelernt hat, kann man es auch getrost wieder vergessen. Betrifft mich doch nicht.
Wohingegen die Augen der Kinder und Jugendlichen voller Begeisterung waren, als sie ihre Plakate gebastelt haben, als sie auf überdimensionale Bettlaken und rote Karten ihre Forderungen schreiben konnten oder als sie unter dem Motto „die Bildung geht baden und wir mit ihr!“ mit Gummistiefeln und Taucheranzug eine Botschaft nach Dresden geschickt haben. So viel Kreativität und Wille zur Veränderung erleben sie in keiner Plenardebatte. Warum uns also nicht öfter ins Boot holen?

Trotzdem kann es nicht darum gehen, nur die engagierten und motivierten jungen Menschen zu fördern, Projekte aus dem Boden zu stampfen, bei denen man am Ende doch immer die gleichen zehn Leute trifft. Sondern es muss primär daran gearbeitet werden, den Kinder und Jugendlichen klar zu machen, dass es sich lohnt an der Gesellschaft zu partizipieren, dass es Sinn hat sich zu engagieren und dass man etwas verändern kann, wenn man nur will. Was nützt das beste Projekt, wenn am Ende keiner kommt?
Es geht darum den jungen Leuten ihr eigenes Potential vor Augen zu führen, indem man sie fragt und einbezieht und nicht über den Kopf hinweg Entscheidungen in ihrem Namen trifft. Wir sind schon ganz gut darin zu sagen, was wir denken, wenn man uns denken lässt. Und Gedanken entstehen nicht in verstaubten Klassenzimmern früh um 7 bei einer Übersicht auf einer Kopie. Sie entstehen da, wo Demokratie lebendig wird und wo auch der letzte merkt, dass er Teil von etwas ist und nicht nur daneben steht.
Es reicht nicht ein Recht auf Mitwirkung und Beteiligung zu haben, es muss ein Bedürfnis werden.

Vielen Dank.“


Bildquelle: Kreisschülerrat Mittelsachsen